Der Fisch in der Salzkruste
Ich gestehe, es war eine Mutprobe und ich mag es gerne, wenn mich jemand herausfordert. Mein charmantes Date hatte mich in ein sehr gutes italienisches Restaurant eingeladen und nutzte die Gelegenheit, um nach meinem Beruf als Sex Coach zu fragen. Wir plauderten schon beim Aperitif über Sex und die verschiedenen Arten von Orgasmus. Ich erzählte, dass viele meiner schönsten Orgasmen ganz ohne Berührung geschahen.
„Das geht doch nicht!“ sagte er ungläubig.
„Natürlich geht es. Und wie!“ konterte ich und wir schauten uns streitlustig aber dennoch flirtend an.
„Kannst du es beweisen?“ fragte er mit einem Augenzwinkern.
Und so kam es, dass ich seine Mutprobe lachend annahm und ihm versicherte, dass ich auf jeden Fall dort im Restaurant einen Orgasmus ohne Berührung erleben werde.
Mein erster Orgasmus beim Italiener. Das stimmt nicht so ganz. Ich kann mich an ein Szenario aus meiner wilden Jugendzeit erinnern, bei dem ich mit zwei italienischen Kellnern gleichzeitig flirtete und mich am Ende zwischen den beiden nicht entscheiden konnte. Schließlich haben wir eine kreative und erotische Lösung gefunden. Das zählt aber nicht wirklich, denn es war bereits nach Feierabend und sie hatten schon die Rollladen heruntergezogen.
Dieser Italiener war aber anders. Ein großes, schickes, sehr bekanntes Restaurant in der Münchner Innenstadt, mit gepflegten Service und kulinarischer Exzellenz. Das Restaurant war gut besucht und quirlig. Vielleicht etwas zu belebt? Nein, das ist eigentlich genau richtig. Umso unauffälliger. Niemand würde vermuten, dass ich am Nebentisch in aller Stille zwischen den Gängen in Ekstase geraten bin…
„Kann ich dir dabei behilflich sein?“ fragte meine Begleitung und lächelte verschmitzt.
„Ich brauche einfach nur das richtige Gericht“ antwortete ich. „Also ich brauche ein kleines Ritual, ein Vorspiel, eine Zeremonie. Und am Ende etwas unglaublich Leckeres, das langsam und zart auf der Zunge vergeht.“
„Fisch in der Salzkruste?“ fragte er. „Das machen sie hier sehr gut“.
Dieser Vorschlag war genau das Richtige und wir schlossen einen Pakt: ich würde mich während der Vorspeise heimlich mit Atem- und Beckenbodenübungen aufwärmen und beim ersten Bissen würde ich sofort kommen. Wir dehnten den Vorspeisengang und das Vorspiel genussvoll aus. Es war aufregend. Ich zuckte ganz unbemerkt mit meiner Beckenbodenmuskulatur unter dem Tisch und drückte mit den Längsmuskeln meiner Vulva sanft gegen meine Klitoris. Wir redeten über die erotischsten Momente des letzten Dates und über die schönen Dinge, die wir noch vorhatten, um mich weiter anzuheizen. Ich erinnere mich nicht mehr an die Vorspeise–irgendetwas mit einer sensationellen Sauce. Ich war schon fast drüber, als der Kellner endlich den kleinen Wagen vorfuhr und die Haube von der Silberplatte hob. Da lag er, der verheißungsvolle Fisch in der Salzkruste.
Als ob er schon eingeweiht wäre, führte der Kellner gekonnt seine Zeremonie fort––elegant, raffiniert und mit einer Show, die pompös und zurückhaltend zugleich war. Er ließ sich Zeit, zerteilte sichtlich vergnügt die Salzkruste und wir schauten zu, wie die dicken Schichten zur Seite brachen und den zarten Fisch freilegten. Wir hielten den Atem an, als er die hauchdünnen Scheiben mit einem feinen, scharfen Messer schnitt und sie sanft auf meinen Teller legte.
Ich hatte befürchtet, es würde nicht klappen. Zu viel Lärm, zu viel Ablenkung, zu viel Druck vielleicht. Als jedoch der zarte Fisch aus der dicken Salzkruste geholt wurde, war ich bereits kurz davor. Meine Begleitung und ich schauten uns in die Augen, denn ich habe beim Tantra gelernt, dass das so genannte „eye-gazing“ den Orgasmus noch intensiver macht. Ich nahm das erste Stück ganz langsam in den Mund und schon ging das Feuerwerk los, in mehreren Körperteilen gleichzeitig. Allen voran die Zunge. Alle Geschmacksnerven stimmten ein, als der Fisch tatsächlich auf meine Zunge verging.
Die Augen meines Gegenübers blinzelten, während meine Finger sich an den Stuhl festkrallten und mein Körper innerlich bebte. Ich weiß nicht, ob das Zucken von meinen Mund Richtung Schoß raste oder andersrum, aber es gab ein feierliches Zusammentreffen und ich biss mir auf die Zunge, um mein Stöhnen zu unterdrücken.
„Alles in Ordnung mit dem Essen?“ fragte der Kellner, vielleicht als Reaktion auf meine weit aufgerissenen Augen.
„Hervorragend, danke. Wir kommen sicherlich wieder“, sagte meine Begleitung und schüttelte sich vor unterdrücktem Lachen. Er liebte double-entrendes und quälte mich häufig damit.
„Wow. Ich habe nicht geglaubt, dass du es wirklich tust“, sagt er beeindruckt. Sag mal, du hast am Anfang des Abends erzählt, dass du nach dem ersten Orgasmus immer gleich Lust auf mehr hast. Wäre es unverschämt, wenn ich frage, ob wir nicht bald wieder ins Hotel gehen wollen?“
„Das Dessert nehmen wir doch immer im Hotel“ lachte ich. „Lieber sofort als bald“.
Natürlich habe ich es später bei anderen Gelegenheiten noch mal versucht. Mit Austern, mit Truffe de Jour, mit einem herrlich-komplexen Rotwein. Ein guter Orgasmus entzieht sich aber jeglicher Erwartung. Er bleibt einzigartig, überrollt mich immer in Momenten, wenn ich ihn am wenigsten erwarte. Und auch wenn ich ihn aufgrund von viel Übung hervorrufen und lenken kann, verweigert er sich stur der (Re-)Inszenierung. Denn jeder Orgasmus ist einzigartig und das ist auch gut so.