Alien Sex
Außerirdische Verführung.
„Weißt du noch, wo wir uns das letzte Mal wiedergesehen haben?“ fragte mich meine britische Freundin, die wieder zu Besuch in Berlin war. Wie hätte ich es vergessen können. Wir waren zerstritten und hatten uns mehrere Jahre nicht mehr gesehen. Plötzlich meldete sie sich aus dem Nichts.
„Ich vermisse dich. Wollen wir nicht die Vergangenheit hinter uns lassen? Ich bin in Berlin und gehe gleich in eine ungewöhnliche Ausstellung, falls du mich dort treffen magst“.
Das passte zu ihr. Jahrelanges Schweigen und dann plötzlich so eine ausgefallene Einladung.
„Ich nehme gleich ein Taxi“, sagte ich, ohne zu zögern.
Es war eine Ausstellung von HR Giger & Mire Lee und als ich ankam, stand sie inmitten einer Installation, die aussah, wie aufgehängte Gedärme. Tropf… tropf…tropf. Eine ölige, seltsame Flüssigkeit tröpfelte zäh zwischen den unheimlichen, drapierten Formen, die dank eines unsichtbaren Mechanismus immer wieder unerwartet zuckten. Daneben ein überdimensionales Mobiliar, das faszinierend und abstoßend zugleich war.
Wir kamen zu den Bildern und ich lachte laut. „Jetzt weiß ich, warum du hierhin wolltest“, sagte ich. Auf dem Bild war eine Frau in einer Art Raumkapseln zu sehen. Sie war an einem Stuhl fixiert. Draußen lauerte ein ungeheurliches Wesen mit langen Tentakeln.
„Du erinnerst dich. Ja, ich stehe immer noch auf „Alien Sex“, sagte meine Freundin, die beim Betrachten des Bildes schon leicht gerötete Wangen hatte. War es Verlegenheit oder Erregung? Die Ausstellung fand ich einerseits verstörend, gleichzeitig erregte sie mich. Ich konnte gar nicht genau sagen warum und beschloss dem Thema „Alien Sex“ auf den Grund zu gehen. Natürlich zunächst auf der kognitiven Ebene—für die praktische Forschung fehlt mir das passende außerirdische Gegenüber.
Mich interessieren weniger die Menschen, die sich verkleiden und sich an Orten treffen, wo eventuell UFOS landen könnten, wie Lily Iglehart in der britischen Netflix Serie „Sex Education“. Meine Neugierde gilt mehr den Tabus und Schattenseiten von „Alien Sex“—warum fiel es mir schwer zuzugeben, dass die Ausstellung Erregung in mir auslöste? Worin liegt der Reiz beim „Alien Sex“ und was hat es mit Tentakeln auf sich?
Meine britische Freundin plauderte offen über ihre Neigung. In der Geschwindigkeit ihrer Ausführungen über Überwältigungen durch Aliens, die Bedeutung von nicht-menschlichen Wesen für den Gender-Diskurs und die Tatsache, dass es spezielle Gerätschaften online zu kaufen gibt, die Alien-Eier in den passenden Öffnungen „implantieren“ können, verlor ich langsam den Faden. Ich entschied mich, diesen unterschiedlichen Strängen in Ruhe nachzugehen und befragte erstmal einen Hetaera Kunden, der mal nebenbei erwähnt hatte, dass er Alien-Pornos als Lieblingsgenre schauen würde.
„Was ist das für eine Anziehung?“, wollte ich wissen.
„Es ist reizvoll, weil dort andere Normen herrschen—oder es erst gar keine gibt. Das gibt den Kick“, erklärte er. „Jeder von uns hat etwas Übersinnliches, abseits der Normen, irgendetwas Überirdisches, das nicht von dieser Welt ist. Wenn ich mich von den Normen löse, dann bin ich freier in dem was ich tue und wenn ich freier bin dann bin ich aufnahmefähiger“.
„Aliens sind meistens auch sexuell anziehend, oder?“ wollte ich wissen.
„Genau“, sagte er. „Sie agieren nonverbal. Sie kommunizieren mit dem Körper, wenn sie etwas ausdrücken wollen—mit ihren Blicken, mit ihren Gliedern, mit ihren Bewegungen, vielleicht mit einem Augenaufschlag“.
Das gefiel mir. Aufgrund meines Interesses an Tanz und vor allem meiner Leidenschaft für Contact Improvisation schätze ich die nonverbale Kommunikation und auch das nonverbale Spiel. Auf dieser Ebene sind mir Aliens auf jeden Fall sympathisch.
„Und die Tentakel?“ hakte ich nach und bemerkte dabei, dass meine Faszination hier besonders stark war. Diese langen Tentakel, im besten Fall mehrere davon, die überall gleichzeitig hin fassen können, wenn sie wollen. Sie üben einen gewissen Reiz auf mich aus.
„Ich stelle mir vor, dass sie mich mit ihren langen Armen—mit ihren Tentakeln—umschließen, gefangen halten oder auch geborgen halten“, fuhr er fort.
Das erinnert mich an Bondage, bei dem es auch einerseits darum geht wehrlos und ausgeliefert zu sein, dies aber oft einhergeht mit dem Gefühl gehalten und beschützt zu sein.
„Also geht es um Verführung und Macht?“ fragte ich interessiert.
„So ist es“, antwortete er. „Aliens haben eine sinnliche Macht, die Macht der Verführung. Jede Person, die verführen kann, hat eine gewisse Macht.“
So genau hatte ich es noch nie betrachtet und ich überlegte kurz, ob ich die Macht meiner Verführungskünste gleich bei ihm einsetzen sollte, denn je mehr er über Aliens redete, desto bewegter und angeregter wurde er und das machte ihn noch anziehender—auch ohne Tentakeln. Das Thema war aber viel zu spannend und er war bereits so im Redefluss, sodass er nicht mehr zu stoppen war.
„Sie umgarnen dich. Sie spielen mit dir“, erzählte er weiter, etwas außer Atem. „Ein Spiel, was du vielleicht gar nicht durchschauen kannst. Sie wollen dich für irgendetwas vereinnahmen. Sie wollen dich motivieren, dich vielleicht manipulieren, dich zu etwas hinreißen, was du noch nie gemacht hast.“
Das klang nach meiner Arbeit mit Rollenspielen. Da geht es auch oft darum, einen Rahmen zu kreieren, indem wir uns abseits der Normen begegnen können. Die Rollen—und deren vereinbarten Machtverhältnisse—geben quasi die Erlaubnis, Dinge zu tun, die wir sonst nie tun würden und auch Dinge von der anderen Person zu verlangen, die wir uns sonst nicht trauen würden einzufordern.
Ich lag an dem Abend im Bett und wickelte die Bettdecke fest um mich, stellte mir vor, wie es wäre, wenn mich Tentakel umschließen würden. Die Worte meines Kunden drifteten durch meine Träume: Macht. Verführung. Umgarnung. Mit Ihren Gliedern… Was noch in der Nacht geschah entwich meiner Erinnerung am Morgen, aber ich wachte mit einem Gefühl der Geborgenheit und kribbelnder Lebendigkeit auf, noch fester von der Decke umschlossen und verwickelter als davor.