SOLO SEX
Solo-Sex. Spätestens seit Annabell Neuhof und Yared Dibaba ihrer witzigen und informative Sendung „Oh … Ja!“ diesem Thema gewidmet haben, ist Solo-Sex für viele ein Begriff. Es klingt elegant, sexy und gleichzeitig etwas geheimnisvoll, während Worte wie „Masturbation“ und alle Euphemismen, die damit zusammenhängen, für die meisten eher ein bestimmtes Bild hervorrufen: eine zielgerichtete Handlung, die bestenfalls zum Orgasmus führt. Danach soll ein Gefühl von Befriedigung einsetzen. Oder Entspannung. In Wirklichkeit erleben aber viele Menschen danach einen Zustand von Müdigkeit, unangenehmer Leere, manchmal sogar Frust.
„Ich kann danach besser einschlafen,“ erzählt mir ein Klient beim Masturbationscoaching. „Der Akt hat aber etwas praktisches, liebloses—etwa wie eine Schlaftablette mit einem Schluck Wasser.“
„Ich langweile mich meistens längst, bevor ich ein Orgasmus erreicht habe und höre dann auf.“ gesteht eine junge Frau, die nur selten in ihrem Leben einen befriedigenden Orgasmus erlebt hat und beim Masturbieren daran „arbeiten“ möchte. „Es ist wie Hausaufgaben früher—ich war froh, dass ich sie erledigt hatte aber ich spürte keine Freude daran,“ gesteht sie. Der fehlende Genuss ist tatsächlich das, worüber die meisten Menschen klagen, gepaart mit der Sorge, durch übermäßigen Konsum von Pornographie, ihre Zeit und Kreativität zu vergeuden.
Was passiert, wenn ich statt „Masturbation“ oder „Selbstbefriedigung“ Begriffe wie „Solo- Sex“ oder „Selbstliebe“ verwende. Ich merke schon, dass mein Anspruch und meine Aufmerksamkeit steigen. Liebe ich mich wirklich selbst, wenn ich mich berühre? Nehme ich mir die Zeit und bin ich genauso präsent, wenn ich Sex mit mir selbst habe, wie wenn ich in einer intimen oder sexuellen Begegnung bin? Oder hängen meine Gedanken noch bei der Arbeit, beim Essen oder gar bei der noch nicht erledigten Steuererklärung?
„Was soll ich denn eine halbe Stunde oder eine Stunde lang machen, wenn ich dabei mehr Zeit für mich nehme?“ werde ich oft beim Selbstliebe-Coaching gefragt. Ich habe früher genau das Gleiche gefragt—etwas ungläubig und skeptisch. Ich hatte nämlich eine Freundin, die mich gerne zu spirituellen Frauentreffen mitnahm. Da waren Selbstliebe-Rituale gang und gäbe aber ich wollte nie hin. Ich habe auch nie so richtig erfahren, was dort passierte.
„Da kann ich nicht. Ich habe eine Verabredung mit mir selbst,“ sagte meine Freundin und lächelte geheimnisvoll, als ich mich mit ihr fürs Kino verabreden wollte.
„Ich zünde viele Kerzen und Räucherstäbchen an, lege Blumen, ätherischere Öle und ein Seidentuch bereit, mache dann ruhige Musik an und schalte alles andere aus,“ antwortete sie, als ich mehr wissen wollte. Das weckte bei mir sofort Assoziationen und ich stellte mir vor, wie sie sich mit dem Seidentuch die Augen verband, mit der Kerze spielte oder sich mit einem Rosenstil in die Lust stachelte.
„Und bei der Selbstliebe muss es nicht mal um Lust gehen,“ unterbrach sie meine Gedanken und ich fühlte mich ertappt. Selbstliebe ohne Lust? Es war mir alles sehr suspekt aber vielleicht lag es an dem beschriebenen Setting, welches mir sehr befremdlich war. Ich hatte zu der Zeit eine besonders experimentelle Phase und eine Liebhaberin, die ein dickes Motorrad fuhr. Sie liebte es, mich nach einem Motorradausflug gegen die Wand ihrer Garage von hinten zu nehmen. Da gab es weder Blumen noch Kerzen. Es war stockdunkel und roch nach Öl und ich fand es sehr aufregend.
Dass ich Jahre später eine leidenschaftliche Verfechterin der Selbstlieberituale werden würde, hätte ich damals nie gedacht. Dass diese Rituale mir mehr Lust, Genuss, Ekstase aber auch Sinnlichkeit, ein tieferes Spüren und mehr Bewusstsein für meinen eigenen Körper schenken würden, hätte ich mir damals auch nicht vorstellen können. Auch Neugierde für meine changierenden erogenen Zonen und Experimente mit verschiedenen Arten von Druck und Berührung wurden durch die Rituale inspiriert. Es gibt so viel zu entdecken und eine Stunde erscheint mir sogar manchmal zu kurz, wenn ich in die zeitlose Erforschung meines Körpers und meine Lust eintauche.
„Verkörperte Selbstliebe“ ist der Name, den ich für diese Praxis am liebsten mag.“ „Orgasmic Yoga“ hieß sie früher. Dabei geht es wirklich nicht um Orgasmen, wie meine Freundin damals bereits wusste. Durch Übung, also eine regelmäßige Praxis wie Yoga, lande ich in meinem Körper und nutze Übungen mit Atem, Stimme, Bewegung und auch Berührung, um mehr Lebendigkeit und Genuss in meinem Körper wachzurufen. Nebenbei sind meine Orgasmen tatsächlich intensiver und vielfältiger geworden. „Orgasmic Yoga“—das klingt nach orgasmusfixierter Fleißarbeit, höre ich manchmal. Dabei ist das Ziel nicht der Orgasmus selbst, sondern ein ganzkörperlicher Zustand von „orgasmicity“, also eine Art lebendiges Dauervibrieren, ein enegetisiertes Kribbeln bis in die Zellen. Wie bei einem Fitnessprogramm oder einer Selleriesaftkur tritt der gewünschte Effekt erst nach und nach, durch regelmäßige Übung bzw. Anwendung ein. Denn der Körper—und bekanntlich auch die Lust—funktionieren nicht auf Knopfdruck.
Ich hatte am Anfang selber großen Widerstand. Orgasmic-Yoga, kurz OY, war ein Kernelement meiner somatischen Sexualcoaching-Ausbildung. Wir sollten sogar als Gruppe üben, eine Vorstellung, die bei mir sofort Druck auslöste. Mit anderen zusammen zu Musik masturbieren—das habe ich schon oft genug bei Workshops auf Festivals erlebt und bin jedes Mal gescheitert. Je mehr die Musik sich auf eine Klimax hinbewegte, und die anderen Teilnehmenden immer lauter stöhnten, desto mehr ging mein Körper in den Widerstand. Ich lasse meinen Orgasmus doch nicht durch billige Musik und das vorgelegte Tempo eines Workshopleiters manipulieren! Es geht doch nicht, dass alle fast gleichzeitig ihren Höhepunkt erreichen. Sie faken es, beruhigte ich mich—und fühlte mich trotzdem wie eine Versagerin, als die Musik wieder ruhiger wurde, alle sich erschöpft hinlegten und ich von meinem Höhepunkt weit entfernt war. Vielleicht doch lieber Räucherstäbchen und eine „Verabredung mit mir selbst?“. Mein Tempo schien ein anderes zu sein. Dabei hatte ich Slow-Sex noch gar nicht entdeckt.
Inzwischen weiß ich, dass Selbstliebe-Rituale, sowohl in der Gruppe als auch alleine, durchaus vielfältiger sein können. Vor allem seitdem Josef Kramer und andere somatische Sex-Coaches wie Annie Sprinkle oder Caffyn Jesse die Methodik von Sexological Bodywork bekannt gemacht haben—und damit angeregt haben, immer neu zu entdecken, welches ungeahnte Potenzial für sinnlichen und sexuellen Genuss noch in unseren Körpern schlummert. Die bekannte US-amerikanische Sexologin Jaiya hat es sogar auf die Spitze getrieben. In ihrem Projekt „101 Days of Self-Pleasure“, hat sie 101 Tage lang mit verschiedenen Formen der Selbstliebe experimentiert und ihre Entdeckungen und Erlebnisse sogar in einer Reihe von YouTube Videos und Blogtexten bekannt gegeben.
Solo-Sex muss auch nicht immer alleine oder in einer Gruppe stattfinden. Für mich ist es zu zweit eine perfekte Kombi, um durch inspirierende Gesellschaft meine Selbstdisziplin als Orgasmic-Yogi anzukurbeln. Es kann sogar ein wunderbarer Auftakt für ein erotisches Date sein. Ich kann dir viel besser sagen, wie du mich gerade in meine Lust bringen kannst, wenn ich selber herausgefunden habe, was mein Körper gerade will. Ich sehe auch wie du dich selbst berührst und bekomme dadurch Inspirationen für unser weiteres Liebesspiel. Also lass uns unsere Hemmungen beiseitelegen und uns gegenseitig zu sinnlicher und lustvoller Selbstliebe motivieren.
Wenn du die Kerzen besorgst, bringe ich die Rosen mit…